Gespräch mit Lettlands Verteidigungsminister und Vizeregierungschef über Wege aus der Krise. Artis Pabriks war privat zu Besuch in Hamburg.

Hamburg. Es gibt Menschen, für die ein einziges Leben viel zu kurz erscheint, um alle ihre Talente zur Entfaltung zu bringen. Artis Pabriks ist so ein Mensch. Der 46-Jährige hat einen Universitätsabschluss in Geschichte, einen Doktorgrad in Politischer Wissenschaft, er war Rektor einer Hochschule, hat Lehraufträge als Professor an mehreren europäischen Universitäten, obendrein einen schwarzen Gürtel im Okinawa-Te-Karate sowie eigene Schüler; er spricht Lettisch, Englisch, Russisch, Deutsch und Dänisch, hat politische Bücher geschrieben und eine Regierungspartei gegründet, ist Ehemann und Vater dreier Kinder.

Und das alles ganz nebenbei - denn Artis Pabriks ist hauptamtlich Verteidigungsminister und Vizeregierungschef von Lettland. Zuvor war er erfolgreich Außenminister des Baltenstaates.

Nach Hamburg kommt er besonders gern. Das liegt zum einen daran, dass seine deutsche Frau, die auf den märchenhaften Namen Undine hört, aus der Hansestadt stammt - die Politologin arbeitet für die Bank of Latvia. Zum anderen liegt es daran, dass das Ehepaar Pabriks der Honorarkonsulin von Lettland in Hamburg, Dr. Sabine Sommerkamp-Homann, seit Langem freundschaftlich verbunden ist. Der Besuch in ihrem Privathaus ist auch eine Würdigung des Umstands, dass Sommerkamp-Homann kürzlich zur "Konsulin des Jahres" gekürt wurde. Mit Artis Pabriks teilt sie die Liebe zu Japan - er hat sie über den Sport gefunden, sie ist eine anerkannte Haiku-Dichterin.

Der schlanke, hochgewachsene Pabriks ist ein lockerer, unprätentiöser Mann. Sprechblasen und raumgreifende Politikergesten benötigt er nicht, er trägt Jeans und ein offenes Hemd bei seinem privaten Besuch in Hamburg.

Im Oktober 2007 hatte er als Außenminister kurzerhand die lettische Regierung verlassen, weil der von ihr eingeschlagene Kurs seinen Grundüberzeugungen widersprach. "Politiker vergessen bisweilen, warum sie dieses Amt innehaben und wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, es aufzugeben", sagt er. Doch das gelte nicht nur für die Politik, sondern für das Leben allgemein: "Man sollte loslassen können: Posten, Geld oder auch Macht". Artis Pabriks begann von vorn, gründete einfach eine neue Partei und kehrte nach drei Jahren politischen "Exils" ins Kabinett zurück.

Geruhsame Zeiten sind es nicht gerade: "Lettland wurde in Europa als erstes Land von der Krise getroffen", sagt Pabriks. "Und wir haben mit wirklich drastischen Maßnahmen reagiert. Ich habe sogar manches Mal gezweifelt, ob wir das Richtige tun." Lettland kürzte die Gehälter im öffentlichen Dienst inklusive der Politikerbezüge um bis zu 25 Prozent und schaffte die meisten Privilegien wie spezielle medizinische Behandlung ab, entließ auch zahlreiche Leute und kürzte massiv Budgets - so wurde der Verteidigungshaushalt um 50 Prozent reduziert. "Den Erfolg sehen wir jetzt - das Jahr 2012 schlossen wir mit einem Plus von 5,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ab", sagt der Minister. "Für 2013 erwarten wir ein Wachstum knapp unter fünf Prozent - aber das hängt auch davon ab, wie gut Deutschland und Nordeuropa - unsere wichtigsten Handelspartner - durch die Krise kommen."

Lettland sei heute stärker und wettbewerbsfähiger - aber die einfachen Menschen würden die Wende noch nicht in ihren Geldbeuteln spüren. "Bis sich das auswirkt, braucht es noch ein paar Jahre", sagt Pabriks. Lettland hat überdies ein demografisches Problem: Es werden, wie in Deutschland, zu wenig Kinder geboren - und viele Letten gehen ins Ausland, um dort mehr zu verdienen oder zu studieren. Allenfalls ein Drittel von ihnen kehrt zurück.

"Wir werden in Kürze in eine Debatte über Einwanderungspolitik eintreten müssen", sagt der Minister. "Denn wenn das so weitergeht, können wir unser Wirtschaftswachstum nicht aufrechterhalten." Immigration ist innenpolitisch allerdings ein schwieriges Feld, denn in Sowjetzeiten konnten die Letten die Einwanderung etwa von Russen, Ukrainern oder Weißrussen nicht kontrollieren. Rund ein Drittel der zwei Millionen Einwohner Lettlands, das etwas kleiner ist als Bayern, hat einen derartigen Migrationshintergrund.

"Wir haben Nachbarn, denen es nicht gefällt, dass wir uns immer weiter in Europa und im Westen integrieren", sagt Artis Pabriks. Lettland ist Mitglied der EU wie der Nato - und es ist kein Geheimnis, dass Russland mit erheblicher Medienmacht versucht, die Letten im Moskauer Interesse zu beeinflussen.

Lettlands Regierung hält ungeachtet heftiger Widerstände der Opposition an der Einführung des Euro am 1. Januar 2014 fest. "Es gibt bei uns Politiker, die sagen, warum sollen wir dem Euro ausgerechnet dann beitreten, wenn es Zweifel an der europäischen Wirtschaft gibt? Und ich sage, genau das ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür, es ist eine Stunde der Bewährung."

Doch für den Außen- und Sicherheitspolitiker Pabriks ist der Euro nicht nur ein wirtschaftliches Instrument, sondern auch ein geopolitisches, weil er die europäische Integration stärkt - "und wir müssen auf diesem Kontinent zusammenhalten". Wohl mit Blick auf den unbequemen russischen Nachbarn fügt der Minister hinzu: "Je dichter wir Letten in Europas Mitte integriert sind, desto besser für uns."

Der russische Präsident Wladimir Putin stehe vor einer schwierigen Situation, glaubt der lettische Verteidigungsminister. Denn immer mehr Menschen in Russland strebten nach Freiheit und Mitspracherecht. Dies stehe im Gegensatz zu einer Politik alten Stils, die vor allem Russlands Größe herausstellen solle. Sie sollte den Russen ihr Selbstwertgefühl zurückgeben, aber auf die Dauer funktioniere das nicht. "Die russische Regierung begreift allmählich, dass sie einen anderen Weg finden muss. Aber den haben sie noch nicht gefunden." Pabriks wirbt dafür, die kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Bande zu Deutschland noch viel enger zu knüpfen. Und die Deutschen sollten eines wissen: "Die baltischen Staaten sind Deutschland von allen Ländern der EU am stärksten freundschaftlich zugeneigt." Der Vizeregierungschef fördert in einer Heimat gerade ein großes Filmprojekt - ein historisches Ritterepos über das Lettland des 13. Jahrhunderts, in dem auch Deutsche eine Rolle spielen. Und er sucht noch Sponsoren ...

Was treibt den Mann mit den vielen Talenten an? "Karate!", grinst er spontan. Um dann, mit einem Blick auf seine Frau, ernsthaft zu werden: "Liebe. Patriotismus. Optimismus."